Traumatherapie im Ostkongo

Demokratische Republik Kongo

Seit mehr als 15 Jahren wüten in der nördlichen Region des Kivus im Osten der DR Kongo kriegerische Auseinandersetzungen, die in extremen Formen auch die Zivilbevölkerung betreffen. Eine dynamische Konstellation verschiedener (para-)militärischer Gruppen beherrscht weite Teile der Region. Trotz internationaler Bemühungen können Zivilisten oft nicht ausreichend geschützt werden. Die Bevölkerung ist vielerorts einem System von Gewalt und Korruption ausgeliefert. In den Medien hierzulande finden oft nur noch die schlimmsten der begangenen Gewalttaten Platz.

Sexuelle und Geschlechtsspezifische Gewalt

Das Ausmaß der sexuellen Gewalt in diesem Konflikt ist unvorstellbar. Extrem aggressive und extrem verletzende Vergewaltigungen treten häufig und täglich auf (z.B. mit Gegenständen oder in Gruppen). Meist werden Mitglieder bewaffneter Gruppen für solche Übergriffe verantwortlich gemacht, doch auch innerhalb der zivilen Gemeinschaft werden Missbrauch und Vergewaltigung oft ohne negative Konsequenzen für die Vergewaltiger hingenommen und normalisiert. Die Überlebenden hingegen sind mit den körperlichen und psychischen sowie sozialen Folgen auf sich gestellt. Scham und die Angst, von der Familie und Gesellschaft stigmatisiert und/oder ausgeschlossen zu werden und das daraus resultierende Schweigen versetzt die Opfer solcher Gewalttaten zu oft in ein stilles Leiden.

Friedensmission MONUSCO

Seit 2010 ist die Friedensmission der Vereinten Nationen (MONUSCO) in der Demokratischen Republik Kongo stationiert. Mit mehr als 20.000 Soldaten und einem Jahresbudget von 1,4 Milliarden US-Dollar zielt sie darauf ab, paramilitärische Gruppen zu „neutralisieren“ und die Sicherheit im Land aufrecht zu erhalten. Neben der militärischen Präsenz wird in einem Demobilisierungsprogramm versucht, Rebellen eine Ausstiegschance zu bieten.

 Neben ehemaligen ruandischen Kämpfern, die sich nach dem Genozid in den nördlichen Regionen des Kivus niedergelassen haben, durchlaufen jährlich zwischen 3000 und 5000 kongolesische Soldaten im Rahmen des MONUSCO-DDRRR  den formellen Prozess der Demobilisierung. Zusätzlich existiert jedoch in den teils schwer zugänglichen Regionen ein sehr dynamischer Wechsel vom Zivilist zum Soldaten und zurück. Sogenannte MaiMai Gruppen sind ein Beispiel dafür: Ursprünglich aus Bürgerinitiativen entstanden, die sich der Abwehr umliegender Rebellengruppen verschrieben, gelten sie heute als aktiver Teil der Konfliktfortführung.

Die Kämpfer dieses Krieges haben ihrerseits eine besondere Geschichte von Traumatisierung und Gewalt hinter sich. Meist bereits als Kinder, d.h. vor dem 18. Lebensjahr rekrutiert, haben sie gesehen, wie Familienmitglieder und Freunde starben, verletzt wurden oder erkrankten. Sie selbst standen unter ständiger Lebensgefahr. Plünderungen, Misshandlungen und Gewalt wurden ihr Alltag. Nach ihrer Demobilisierung führen ehemalige Kämpfer meist ein Leben in Armut und unter ständiger Gefahr. Dazu kommen neue Herausforderungen: Stigmatisierung, Arbeitslosigkeit, schwache Staatsstrukturen, aber auch und besonders die Allgegenwärtigkeit der Erinnerungen an die Zeit als bewaffneter Kämpfer. Ein globales Gefühl der Unsicherheit kann in vielen Fällen nicht überwunden werden, fordert die ständige Bereitschaft zur Verteidigung und ebnet den Weg zurück in Rebellengruppen, Kriminalität, Missbrauch und/oder Drogenabhängigkeit.

voki: Voices of the Kivus – Stimmen der Kivus

Mit unserem Projekt versuchen wir den – meist unausgesprochenen – traumatischen Elementen der Erinnerung eine Stimme zu verleihen: Voices of the Kivus (voki). In ausführlichen diagnostischen Interviews untersuchen wir die Auswirkungen verschiedenartiger Gewalterfahrungen auf die psychische Gesundheit und daraus resultierende Behandlungsansätze. Hierbei legen wir einen besonderen Fokus auf Symptome, die letztlich einen Einfluss auf die Gewaltspirale haben. In Ergänzung zu den selbst berichteten Einstellungen und Verhaltensweisen der Studienteilnehmer untersuchen wir epigenetische Marker, die mit spezifischen Umweltfaktoren interagieren.

Narrative Expositionstherapie für Überlebende sexueller Gewalt

In Kooperation mit vivo international (vivo.org) untersuchen wir in einer klinischen Studie die Wirksamkeit der 'Narrativen Expositionstherapie' (NET; Schauer, Neuer, Elbert, 2011) in einer Stichprobe von Überlebenden sexueller Gewalt. Ein besonderes Augenmerk legen wir hier auf das Durchbrechen des oft jahrelangen Schweigens in therapeutischen Gesprächen und die Anerkennung des Leides.

Narrative Expositionstherapie für ehemalige Kämpfer

Eine weitere klinische Studie untersucht die Wirksamkeit einer adaptierten Version der NET für traumatisierte Ex-Kombattanten. Besonders bei ehemaligen Kämpfern ist die Aufarbeitung der Vergangenheit und ein innerer Prozess der Entglorifizierung von Gewalt zu Beginn einer erfolgreichen Demobilisierung unverzichtbar. Auf der sogenannten „Lifeline“ (Lebenslinie) symbolisieren, neben Blumen und Steinen, die für positive und negative Lebensereignisse stehen, Stöckchen die selbst ausgeübten Gewalttaten. Parallel laufende Gruppeninterventionen bereiten den Weg für einen gewaltfreien Umgang miteinander.

Umgang mit Gewalt und Traumatisierung in der Gesellschaft

Neben individuellen Therapien entwickeln wir auf Basis der Narrationen (entstanden in Einzelsitzungen der NET) einen Ansatz zur Aufarbeitung kollektiver traumatischer Erinnerungen. Ziel ist es, das Entstehen einer Erinnerungskultur zu erleichtern, ein Bewusstsein für die Reziprozität der Gewalt schaffen sowie das Leid aller Überlebender anzuerkennen und damit die starren Grenzen zwischen Opfer und Täter zu durchbrechen. Nur so können langfristig die Weichen gesetzt werden für einen friedvollen Umgang.

Trainingsprinzip

In einem dreistufigen Disseminationsmodell werden zunächst NET-Counselor ausgebildet. Sie führen im Anschluss unter enger Supervision Therapien durch und gewinnen so an wertvoller Erfahrung und Expertise. Im nächsten Schritt lernen die NET-Counselor dann selbst NET-Workshops durchzuführen und die Qualität der darauffolgenden Therapien sicherzustellen. Mit konstruktiver Kritik und Empathie stehen NET-Master-Counselor ihren Trainees während der Therapien zur Seite.

Im letzten Schritt gilt es dann, NET-Master-Counselor zu befähigen, die Qualität der Trainings sicherzustellen. Sogenannte NET-Supervisor-Counselor können so aktiv das Behandlungsangebot für Traumapatienten in ihrer Region steuern.

Arbeit mit der „Lifeline“

Im Rahmen der NET rekonstruiert der Patient eine detaillierte chronologische Abfolge seiner Biographie. Nach einer ausführlichen Diagnostik und der Psychoedukation beginnt in der ersten Sitzung die Arbeit mit der Lebenslinie, der sogenannten „Lifeline“. Diese wird durch ein Seil symbolisiert: Sein Anfang steht für die Geburt, das andere, noch aufgerollte Ende für die Zukunft. Vor dem Hintergrund dieses Bildes besprechen Therapeut und Patient die zentralen Lebensereignisse des Patienten. In chronologischer Reihenfolge legt dieser Steine und Blumen auf das Seil: Steine symbolisieren negative und traumatische Erlebnisse, wie etwa Missbrauchserfahrungen oder kriegerische Attacken, Blumen stehen für wichtige positive Ereignisse, wie beispielsweise die Einschulung oder den ersten positiv erlebten Kuss.

Die Therapie

In den nachfolgenden Expositionssitzungen werden die wichtigsten Ereignisse, insbesondere die „großen Steine“, noch einmal in all ihren Qualitäten – sensorisch, kognitiv, emotional, , interozeptiv – durchlaufen, um die typischerweise fragmentierte Geschichte des Traumas zu einem kohärenten Narrativ umzuformen.  Dabei wird dann deutlich, wann Angst und Verzweiflung aus der Erinnerung kommen können und zu welchem Kontext diese Gefühle gehören. Die Narrationen werden vom Therapeuten mitgeschrieben, der Bericht in der folgenden Sitzung vorgelesen. Fehlende Teile oder Unstimmigkeiten können so ergänzt werden, bis die Narration des Patienten stimmig ist. In der letzten Sitzung der NET erhält der Patient die ausgedruckte Narration seiner Biografie, welche nochmals vorgelesen und anschließend in einem symbolischen Akt von beiden Seiten unterschrieben wird.


Ein Blick zurück: Narrative Expositionstherapie

Über die vergangenen Jahrzehnte entwickelte sich NET (Schauer, Neuner, & Elbert: 2005, 2011) zu einem evidenzbasierten Standardverfahren in der Traumabehandlung und gilt besonders bei multipler Traumatisierung als das Verfahren der Wahl. Über Exposition in sensu werden die traumatischen Erfahrungen in der autobiographischen Geschichte des Patienten verankert. NET umfasst jeweils acht bis zwölf Einzelsitzungen mit einer Länge von etwa 90 Minuten. Verschiedene Studien zeigen, dass NET in den unterschiedlichsten Kulturen und Kontexten effektiv angewendet werden kann. Zudem ist NET disseminierbar: In einem drei- bis vierwöchigen Workshop mit darauffolgender Supervision können auch Personen ohne psychologische Hochschulbildung lernen, NET effektiv anzuwenden.

Team

Leitung:
Dr. Anke Köbach, Katy Robjant, Prof. Dr. Thomas Elbert

Doktoranden: Sabine Schmitt, Charlotte Salmen (Doktoranden)
Datenmanagement: Dr. Samuel Carleial
Koordinator: Amani Chibashimba