Hintergrund zum Kompetenzzentrum Psychotraumatologie

Es konnte gezeigt werden, dass in der Population der Flüchtlinge mit erhöhten Krankheitswerten gerechnet werden muss. Neben psychiatrischen Symptomen von Traumafolgestörungen wie Depression, Sucht und Suizidalität sind vor allem psychosomatisch bedingte körperliche Probleme häufig und schwerwiegend. Durch den besonderen Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis an der Ambulanz, d.h. der Vereinigung zwischen Wissenschaft (Universität) und konkreter Hilfeleistung (vivo), werden dabei wegweisende diagnostische Standards und therapeutische Interventionsmöglichkeiten in Kombination mit Menschenrechtsarbeit genauer erforscht und weiterentwickelt.

Ziel des Kompetenzzentrums Psychotraumatologie ist es, maßgeblich zu Erkenntnissen beizutragen, wie Flüchtlinge psychisch gesunden können und damit wieder in die Lage versetzt werden, Verantwortung und Entscheidungskraft für ihre Zukunft zu erlangen. Psychische Gesundheit ist die Grundvoraussetzung dafür, dass vertriebene Personen und Flüchtlinge wieder fähig werden, für sich und ihre Familien zu sorgen. Dabei wird bei der psychosozialen und psychiatrischen Rehabilitation der Menschen ein zukunftsoffener Ansatz angestrebt: Der Mensch soll seine Energie, seine Motivation, seine geistigen Fähigkeiten und seine seelische Gesundheit zurückerlangen, wodurch er fähig wird selbstständig zu denken, seine Zukunft mitzubestimmen und sein Leben wieder aktiv zu gestalten. Bei Aufnahme der (noch unbehandelten) belasteten Flüchtlinge sieht die Situation dagegen häufig dramatisch anders aus. Behördliche Schwierigkeiten und Probleme (fehlende Mitwirkung, pathologische Ängste etc.) in der Situation der Aufnahme von Flüchtlingen hängen nicht zuletzt oft mit dem schlechten kognitiven und psychischen Zustand der Hilfesuchenden zusammen.

Unsere bisherigen Daten zeigen, dass zum Zeitpunkt einer erstmaligen Vorstellung eines Flüchtlings an unserer Institution (aber auch bei anderen niedergelassenen Behandlern) zumeist schon viele Jahre vergangen sind seit der Überschreitung internationaler Grenzen und Aufnahme der Flüchtlinge im Bundesgebiet, respektive seit dem Beginn des Asylverfahrens (5,5 Jahre Mittelwert). Die traumabedingten Störungen präsentieren sich chronifiziert, ohne angemessen behandelt worden zu sein, wobei die meisten Patienten zu diesem Zeitpunkt oftmals bereits mit mehreren verschiedenen psychoaktiven Präparaten mediziert worden sind, ohne symptomatische Erleichterung erfahren zu haben, und sich verschiedene komorbide Krankheiten über die Zeit im Exilland ausgebildet haben (typisch: körperliche Leiden, Depression, Substanzmittelmissbrauch, Persönlichkeitsveränderungen etc.). Nicht selten sind bereits stationär-psychiatrische Einweisungen aufgrund von Alkoholmissbrauch, Impulskontrollproblemen, Ess-Störungen und parasuizidalen Handlungen (Selbstverletzung, Suizidversuche) erfolgt. Bei der Behandlung (und bei Integrationsvorschlägen für Ausländer) wird häufig übersehen, dass traumatisierte Opfer aufgrund ihrer Störung Defizite im sozialen und beruflichen Funktionsniveau aufweisen und sich oftmals hilflos, wertlos, krank und handlungsunfähig fühlen. Ineffiziente Behandlungsangebote und psychogene körperliche Beschwerden machen viele besonders schwer betroffene und schutzbedürftige Personen zu ‚Drehtürpatienten’. Da die körperlichen Untersuchungen und die symptomatischen Behandlungen der somatischen Beschwerden erfolglos verlaufen, werden in der Standardpraxis nach und nach immer mehr Verfahren eingeleitet, ohne dass es zu einem organischen Befund kommt (typischerweise: Magen-Darm-Probleme, Herz-Kreislauf-Probleme, chronische Schmerzen, Brust- und Atemprobleme, Asthma- und Migränebehandlungen etc.). Dies stellt gleichermaßen eine sinnlose Belastung des Patienten wie des Gesundheitssystems dar. Es chronifizieren sich zudem die Leiden derart, dass es über die Zeit immer schwieriger wird, die Störungen noch therapeutisch zu beeinflussen. Erneute Stressoren können schließlich eine Vernichtung der seelischen Gesundheit der Personen zur Folge haben. Wir haben außerdem festgestellt, dass Flüchtlinge in den niedergelassenen Praxen häufig über Ansteckungskrankheiten, Infekte und Symptome klagen, die auf einen schlechten Immunstatus schließen lassen.