Teambesprechung Integrationsprojekt

Integration von psychisch belasteten Geflüchteten

Modellprojekt zur Integration von psychisch belasteten Geflüchteten in die psychotherapeutische Regelversorgung

Unterstützung, Beratung und Therapieangebot für Geflüchtete aller Altersklassen

Weltweit sind ca. 80 Millionen Menschen auf der Flucht – die höchste Zahl seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. In Deutschland leben aktuell ca. 1,1 Millionen Geflüchtete, die einen Asylantrag gestellt haben [1]. Hauptherkunftsländer sind u.a. Syrien, Afghanistan, Irak, Nigeria, Eritrea oder Somalia. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina schätzt, dass 40-50% dieser Personen unter eine Traumafolgestörung leiden und 25% von Ihnen eine professionelle Behandlung benötigen [2]  – das bedeutet, dass 1.000 der circa 4.000 im Landkreis Konstanz lebenden Asylbewerber psychotherapeutische und/oder psychiatrische Unterstützung benötigen.

Es bestehen jedoch deutliche Zugangsbarrieren zum krankenkassenfinanzierten Regelversorgungssystem, die über eine fehlende Finanzierung von Sprachmittlung weit hinaus gehen. So haben in den letzten Jahren verschiedene Studien der Krankenkassen bei Geflüchteten eine deutlich geringere Inanspruchnahme von Leistungen bei PsychotherapeutInnen im Vergleich zur Bevölkerung ohne Fluchthintergrund festgestellt [3, 4].

Logos der unterstützenden Einrichtungen

In einem Modellprojekt, das in enger Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation vivo international e.V. (www.vivo.org) durchgeführt wird, wurde daher seit 2017 ein neues Versorgungsmodell, die koordinierte psychotherapeutische Behandlung unter Einbeziehung von Gesundheitspat:innen (gut integrierten Personen aus den Herkunftsländern der Geflüchteten), auf kommunaler Ebene aufgebaut und erprobt [5]. Das Projekt erhielt seither Unterstützung durch die Hertie-Stiftung, den Landkreis Konstanz, die Städte Konstanz, Singen und Radolfzell sowie von zahlreichen anderen Spendern.

Im Modellprojekt werden folgende zusätzliche Versorgungs-Bausteine implementiert:

  • Etablierung einer kommunalen Koordinationsstelle, die Anmeldungen, freie Therapiekapazitäten und einen Sprachmittlerpool verwaltet und beteiligte GesundheitspatInnen und TherapeutInnen fortlaufend unterstützt.
  • Der Einsatz von trainierten GesundheitspatInnen zur aufsuchenden Unterstützung der Inanspruchnahme von Psychotherapie im Versorgungssystem
  • Der Aufbau und die Finanzierung eines Sprachmittler-Pools
  • Regelmäßige Fortbildungs- und Intervisionsangebote für TherapeutInnen (u.a. Traumatherapie bei Geflüchteten, Arbeit mit Sprachmittlern, interkulturelle Psychotherapie)

Dieses Projekt wird aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds kofinanziert. Mit Hilfe dieser Förderung vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) und des Landkreises Konstanz wird das Modellprojekt 2020 – 2022 in größerem Umfang implementiert und in mehreren Studien evaluiert. Das AMIF-Projekt „Psychotherapeutische Behandlung von Asylbewerbern: Ein Modell in der Regelversorgung“ wird von Dr. Michael Odenwald und Prof. Dr. Daniela Mier (PIs) geleitet.

In einem kleineren Schwesterprojekt, das vom gemeinnützigen Verein vivo interational e.V. (www.vivo.org) durchgeführt wird, wird das Angebot für Geflüchtete ergänzt, für die keine Förderung durch den AMIF vorliegt.

Was wir konkret machen?

Das Integrationsprojekt vermittelt und fördert die Behandlung von traumatisierten und psychisch belasteten Geflüchteten in Psychotherapiepraxen und Ambulanzen im Landkreis Konstanz und baut Zugangsbarrieren zum psychotherapeutischen Regelversorgungssystem ab. Dies geschieht in einem Netzwerk lokaler Partner (Psychotherapiepraxen, Ambulanzen, ZfP Reichenau) und in enger Zusammenarbeit mit Landkreisbehörden und Kommunen.

Für wen gilt das Angebot?

Unser Angebot richtet sich an Personen mit Fluchthintergrund jeden Alters und Geschlechts, die unter psychischen Problemen leiden. Der Versicherungsstatus ist unerheblich (AsylbLG oder Gesundheitskarte oder Krankenversicherung). Wir klären den spezifischen Hilfebedarf bei allen angemeldeten Personen ab, informieren und vermitteln passende Hilfsangebote im Regelversorgungssystem. Insbesondere unterstützt und begleitet das Integrationsprojekt diejenige Gruppe von Geflüchteten, die eine ambulante Psychotherapie wahrnehmen können und wollen, über einen längeren Zeitraum auf vielfältige Weise.

Ablauf, Anmeldung, Aufnahme und Betreuung im Projekt:

Eine zentrale Koordinationsstelle koordiniert Anmeldungen belasteter Geflüchteter, führt Erstgespräche durch und vermittelt sie zu niedergelassenen TherapeutInnen im Landkreis Konstanz. Ausgebildete GesundheitspatInnen unterschiedlicher Herkunftsländer und Muttersprachen begleiten und unterstützen die PatientInnen währen der Wartezeit und der Therapiephase. Sie arbeiten als organisatorische und kulturelle Mittler zwischen TherapeutInnen und Geflüchteten. Unsere GesundheitspatInnen erhalten eine Ausbildung und regelmäßige Supervision durch geschulte PsychologInnen. 


Foto Projektverantwortliche Daniela Mier Michael Odenwald Lea Bogatzki Anne Rusch

Referenzen

Referenzen:

[1]   United Nations High Commissioner for Refugees (2020). Global Report 2019. Geneva, Switzerland: UNHCR. Available at reporting.unhcr.org/publications

[2]   Elbert T., Grüters-Kieslich A., Rösler F., et al. (2018). Traumatisierte Flüchtlinge – schnelle Hilfe ist jetzt nötig. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle (Saale).

[3]   Bauhoff S. & Göpffarth D. (2018) Asylum Seekers in Germany differ from regularly insured in their morbidity, utilization and costs of care. PLOS ONE 13(5): e0197881.

[4]   Schröder, H., Zok, K. & Faulbaum, F. (2018). Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland. WIdO-Monitor 15(1): 1-20.

[5]   Adorjan, K., Kluge, U., Heinz, A., Stamm, T., Odenwald, M., Dohrmann, K., Mokhtari-Nejad, R., Hasan, A., Schulze, T.G., Falkai, P. & Pogarell, O. (2017). Versorgungsmodelle für traumatisierte Flüchtlinge in Deutschland. Nervenarzt, 88(9), 989 – 994.

Weitere Projekte und therapeutische Angebote

Projekt Furchtlos
Psychotherapeutische Unterstützung für Flüchtlinge zwischen 14 und 21 Jahren.
Kontakt:
furchtlos.projekt@uni-konstanz.de

                            

Projekt Yourtreat
Narrative Expositionstherapie für traumatisierte Flüchtlings- und asylsuchende Kinder und Jugendliche im Alter 10-18 Jahre.
Kontakt:
sabrina-barbara.mueller@uni-konstanz.de